Bücher, die man gelesen haben muss – davon gibt es viele. Doch welche schaffen es, dein Leben zu verändern? Das fragt meine Autorenkollegin Edith Gold bei ihrer Blogparade.
Für erfahrene Bloghasen und Häsinnen ist es ein alter Hut: Blogparaden. Ich dagegen habe keine Ahnung, wie sie funktionieren – aber genau das ist ja der Spaß daran! Alles, was neu ist, macht mich neugierig. Also folge ich dem Ruf meiner Autorenkollegin.
Aber was ist nun eigentlich so eine Blogparade? Stell Dir vor, jemand stellt eine spannende Frage in den virtuellen Raum – eine, die zum Nachdenken anregt, zum Teilen einlädt und vielleicht sogar ein bisschen ins Herz pikst. Andere greifen das Thema auf, schreiben ihre ganz eigene Sicht dazu auf und verlinken sich gegenseitig. Am Ende entsteht eine bunte Sammlung an Gedanken, Erinnerungen und Ideen.
In diesem Fall ist Edith die Gastgeberin der Parade und fragt: „Welche drei Bücher haben Dein Leben auf den Kopf gestellt?“ – Eine Frage, bei der ich sofort dachte: „Wie soll ich mich denn da entscheiden?“
Inhaltsverzeichnis
Mit Pippi gegen den grauen Alltag
Aufgewachsen bin ich in der ehemaligen DDR – und was soll ich sagen: Die Auswahl an Kinderliteratur war … sagen wir mal „pädagogisch durchdacht“. Vielleicht lag es an den Vorlieben meiner Eltern oder an dem, was Pädagogen damals für geeignet hielten. Aber für mich klang vieles so trist und grau wie der Alltag selbst. Da war von folgsamen Kindern die Rede, von Bauern und Soldaten mit ihren Panzern. Tiergeschichten dienten der Wissensvermittlung. Da wurde etwa vom Leben eines Forschers unter Wölfen berichtet oder eine Wildschweinrotte detailliert beobachtet. Alles interessant, gewiss – aber für mich so trocken wie Haferflocken ohne Milch.
Das Grimmsche Märchenbuch war die einzige fantastische Fluchtmöglichkeit, aber die kannte ich bald auswendig.
Mir fehlte das Bunte, das Wilde, das Überdrehte. Fantasie war eher ein Sonderfall als die Regel.
Ein kleiner Ausreißer war Zwiebelchen, auf dessen Cover Obst und Gemüse mit Armen, Beinen und Gesichtern zu bestaunen waren. Ich war neugierig und hoffte auf eine schräge, lebendige Geschichte. Und tatsächlich: In dieser skurrilen Welt kämpfte der kleine Zwiebeljunge gegen die Ungerechtigkeit durch das herrschende Obst-Adelshaus. Trotz der fantasievollen Verpackung war der Ton für mein kindliches Ich zu ernst. Der gesellschaftskritische Inhalt hat mich eher abgeschreckt. Ich wollte Abenteuer, keine Revolution im Gemüsebeet.
Und dann brachten meine Großeltern von einer ihrer Reisen nach Westdeutschland ein kleinformatiges blaues Buch mit – Pippi Langstrumpf.
Dieses freche Mädchen mit den roten Zöpfen, das allein in einem Haus wohnt, auf dessen Veranda ein Pferd einquartiert ist und die sich die Welt macht, wie sie ihr gefällt – zog mich von der ersten Seite an in eine Welt, die so ganz anders war als meine.
Ich wusste natürlich, dass ich selbst eher wie Annika war: brav, vorsichtig, angepasst. Ich war das Kind, das zuerst fragte, ob man das überhaupt darf. Aber Pippi fragte nicht. Die lebte.
Pippis Welt war bunt, wild und grenzenlos. Als sie zu ihrem Vater, reiste, entdeckte ich mit ihr ferne Länder. Pippi nahm mich mit auf Reisen, ganz ohne Kofferpacken. Und sie zeigte mir: Man darf träumen. Man darf ausbrechen. Man darf anders sein.
Astrid Lindgren legte mit diesen Geschichten den Samen für meine Liebe zur Literatur. Lange Zeit war es das einzige Buch, das ich überhaupt bis zur letzten Seite durchhielt. Mehr als einmal. Pippi war mehr als ein Kinderbuch – sie war ein leuchtendes Versprechen, dass das Leben auch anders sein kann.
Einige Jahre später, es muss kurz vor dem politischen Umbruch gewesen sein, lernte ich dann doch noch ein fantastisches Kinderbuch kennen: Der Zauberer der Smaragdenstadt – eine russische Nacherzählung des Buches Der Zauberer von Oz. Doch meine erste literarische Liebe war Pippi.

Durch die Nebel von Avalon in die Buchwelten
Kurz nach der Wendezeit geschah etwas ganz Typisches: die pubertätsbedingte Leseflaute. Ein gar nicht so seltenes Phänomen. Obwohl die Buchhandlungen plötzlich überquollen mit Literatur aus aller Welt – vielleicht war auch das ein Problem. Zu viel Auswahl.
Lassen wir Comics einmal außen vor, las ich nur noch das, was im Unterricht verlangt wurde. Goethe, Shakespeare und Schiller. Pflichtlektüre eben, aber ich gestehe, ich las den Stoff gern. Damit stand ich leider ziemlich allein in der Klasse, aber es war mir 1.000 Mal lieber als trockene Grammatik.
Mitte der 90er Jahre stolperte ich in einer Bahnhofsbuchhandlung zufällig über einen dicken Schmöker: Die Nebel von Avalon. Mit rund 1000 Seiten ein echtes Kaliber. Und doch sprach mich dieses Buch sofort an. Vielleicht war es das geheimnisvolle Cover. Ich kaufte es von meinem Taschengeld.
Marion Zimmer Bradley erzählt die Artus-Sage und lässt Morgaine – die Schwester von Artus, Hohepriesterin von Avalon, sprechen. Die Geschichte erzählt von geheimen Ritualen, Magie, Zweifeln, Spiritualität und der Macht der Frauen im Verborgenen. Es ging um Religion und Wandel, um Abschiede und Aufbrüche, um eine Welt, die in den Nebeln der Zeit versank.
Ich verlor mich in dieser historischen Fantasywelt, lebte tagelang in Avalon, durchstreifte die Nebel, verfluchte Artus und liebte Lancelot. Es war das erste Buch von solchem Umfang, das ich jemals gelesen habe. Und ich las es nicht nur einmal.
Sogar für ein Schulreferat nutzte ich den Stoff. Und ich war so begeistert, so tief in dieser Welt versunken, dass ich mich an etwas wagte, was ich bis dahin nie ernsthaft in Betracht gezogen hatte: Ich schrieb eine eigene Geschichte. Inspiriert von Avalon, irgendwo zwischen Ritterromantik und selbstgebastelter Magie. Fanfiction würde man es heute nennen. Zum Glück existiert kein einziges Blatt mehr davon. Damals vernahm ich das erste leise Flüstern, dass es möglich wäre, selbst Autorin zu werden. Zumindest für einen winzigen Moment glaubte ich daran.

Der lange Weg bis zu Emma & Caden
Nach Die Nebel von Avalon war das Tor in die Welt der Geschichten endgültig geöffnet. Statt ins Kino zu gehen, spazierte ich lieber durch Buchhandlungen. Ich verzichtete auf teure Partys – und für eine zeitlang sogar auf einen Fernseher. Bücher waren mein Abenteuer, mein Rückzugsort.
Und so reiste ich von Tolkiens Auenland ins alte Ägypten zu Christian Jacqs Pharaonen, weiter ins Mittelalter mit Iny Lorentz und Sabine Ebert bis in die Neuzeit und der Mütter-Mafia von Kerstin Gier. Ich gruselte mich bei blutigen Thrillern von Simon Beckett und landete irgendwann bei Liebesromanen.
Etwa Mitte der 2000er-Jahre geschah etwas, das mich auf eine andere Art tief berührte: Immer mehr Musiker, die mich durch meine Jugend begleitet hatten, starben. Manche plötzlich und auf tragisch Weise. Ich erinnere mich, dass die Radiosender nur noch über diese Person berichteten und wie furchtbar endgültig es sich anfühlte – als ob ein Teil meiner eigenen Vergangenheit mit ihnen verblasste. Ich begann, Biografien zu lesen. Viele. Und immer wieder stieß ich auf ein wiederkehrendes Thema: Einsamkeit und einen inneren Schmerz, der nicht mit Ruhm, nicht mit Alkohol und nicht mit Drogen zu betäuben war.
Ich fragte mich: Was, wenn diese Künstler jemandem begegnet wären, der sie gesehen hätte – wirklich gesehen, nicht die Kunstfigur auf der Bühne oder im Rampenlicht? Hätte das etwas verändert? Hätte es ihren frühen Tod verhindern können?
Ich weiß es nicht, aber mit „Was wäre wenn …?“ beginnen viele Geschichten.
In meinem Debütroman Emma & Caden habe ich mich dieser Frage gestellt. Es war ein langer, steiniger Weg bis zu diesem Buch. Zweimal bin ich gescheitert. Schließlich buchte ich einen teuren Autorenkurs, der mir über ein Jahr hinweg das Handwerkszeug des Schreibens vermittelte. Es gab keine Ferien, keine Pause und schließlich stellte auch noch die Pandemie unser Leben auf den Kopf.
Aber ich biss mich durch und 2022 geschah etwas, das ich bis heute manchmal kaum glauben kann: Emma & Caden fand Leserinnen. Wirkliche, echte Menschen, die meinen Debütroman gelesen haben und sich auf neue Bücher von mir freuen. Eine kleine, feine Fangemeinde. Und das fühlt sich an wie ein Geschenk, das ich nie erwartet hätte.

Drei Romane folgten und weitere sind in Vorbereitung, und trotz der Zweifel, die immer wieder hochkommen, habe ich es nie bereut, meinen Traum verwirklicht zu haben.
Und auch ich habe mich in all den Jahren verändert. Nicht nur als Autorin. Vielleicht ist aus der einstigen Annika inzwischen ein kleines Stück Pippi geworden.
Eine, die sich manchmal sagt: Trau dich. Was soll schon passieren?
Ich bin neugierig! Magst du mir erzählen, welche drei Bücher dein Leben auf den Kopf gestellt haben? Und vielleicht hast du ja sogar Lust, selbst bei der Blogparade mitzumachen – dann hüpf doch rüber zu Edith Gold und lass dich inspirieren.
Herzlich, deine

Liebe Kassia
Also ich finde dich voll Pippi :)! Du hast so viel Neues gewagt – jetzt ja gerade wieder 😉 …
Deinen Weg zum Schreiben finde ich mega interessant und ich liebe deine Bezeichnung für die Kinderliteratur der DDR „pädagohisch durchdacht“, herrlich :).
Ich danke dir für diesen mega schönen Beitrag zu meiner Blogparade!
Grüessli,
Edith