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Warum ich keine negativen Rezensionen schreibe

Es gibt diese Redensart: „Geschmäcker sind verschieden.“ Was so banal klingt, trifft in meinen Augen den Kern. Andere würden sagen: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ Auch daran mag etwas sein. Ich habe mich entschieden, keine negativen Rezensionen zu schreiben. Ob ein Buch gefällt oder nicht, ist oft eine Frage der persönlichen Vorlieben. Für mich ist es daher weder sinnvoll noch fair, die Arbeit eines anderen öffentlich schlechtzumachen – besonders, weil ich weiß, wie viel Mühe, Herzblut und Zeit in jedes Buch fließen.

Der eigene Blick als Lektorin und Autorin

Als Lektorin und Autorin habe ich zwangsläufig einen anderen Blick auf Texte. Tatsächlich hat sich mein Leseverhalten durch diese Tätigkeit sehr gewandelt. Gelegentlich fällt es mir schwer, nicht über Formulierungen zu stolpern, die mir früher niemals aufgefallen wären. Ich erkenne, warum eine Szene mich nicht packt, und statt die Seiten zu überblättern, fange ich an zu analysieren.

Wenn ich also ein Buch bewerte, spielt da immer auch der Kritiker eine Rolle. Und genau das macht eine faire Rezension für mich schwierig. Beispiel gefällig? Vielleicht störe ich mich an einer strukturellen Schwäche, die anderen Lesern gar nicht auffällt, weil sie von der Geschichte völlig gefesselt sind. Oder die Szene beginnt mit dem Aufwachen einer Figur, oder sie betrachtet sich ausgiebig im Spiegel, nur damit die Lesenden anschließend wissen, wie die Figur aussieht. Innerlich gehen bei mir die Warnlämpchen an. Aber würde ich das Buch deshalb negativ bewerten? Das wäre nicht nur unfair, sondern könnte auch potenzielle Leser beeinflussen, die genau diese Geschichte lieben könnten.

Und ich staune ja selbst immer wieder. Da gibt es Bücher mit Bestseller-Fähnchen und tausenden positiver Bewertungen, die mich absolut nicht überzeugen. Aber hinter dem Bestseller-Rang stecken eben nicht nur viele begeisterte Lesende, sondern gutes Marketing und ein entsprechendes Werbebudget.

Warum es in meiner Rubrik „Erlesenes“ keine Wertung gibt

In meinen Monatsrückblicken gibt es die Rubrik „Erlesenes“. Ganz bewusst verzichte ich auf eine Empfehlung und Wertung. Keine Sterne, keine Punkte, keine Einordnung in Kategorien wie „gut“ oder „weniger gut“. Stattdessen der Link zum Buch. Entweder liest du dort die Bewertungen oder – und so handhabe ich es seit Jahren und empfehle dir, das auch zu tun – ich hole mir die Leseprobe. Auch wenn du keinen E-Book-Reader besitzt, gibt es Apps fürs Handy, PC oder Tablets, mit denen du die Leseprobe kostenlos lesen kannst. Erst dann weißt du, ob dir der Erzählstil gefällt, das Thema, die Figuren …

Das Problem der unausgesprochenen Erwartungshaltung

Ein anderes, weniger offensichtliches Problem betrifft die Dynamik unter Kollegen. Gerade in der kreativen Branche, in der viele von uns eng vernetzt sind, entsteht manchmal eine – von mir empfundene – unausgesprochene Erwartungshaltung. Diese bringt mich immer wieder in die Zwickmühle und bereitet mir ordentlich Bauchschmerzen. Eine gute Lösung habe ich für mich noch nicht gefunden – oft fühlt es sich an wie ein Drahtseilakt.

Denn natürlich lesen Schreibende auch die Bücher ihrer Kolleg:innen, besonders dann, wenn sie in irgendeiner Weise miteinander in Kontakt stehen. Über soziale Medien werden die Titel ihrer neuen Werke regelmäßig in den Feed gespült. Man wird neugierig, greift eher zu – und das ist auch wunderbar. Und schließlich ist es auch großartig, wenn Kollegen das eigene Buch in die Kamera halten und auf diese Weise ein wenig Werbung machen.

Aber ich schaffe es gar nicht, all die wunderbaren Bücher zu lesen. Ja, da stellt sich dann regelmäßig das schlechte Gewissen ein.

Kritik, Gefälligkeitsrezensionen und Rezensionserwartungen

Lesermeinungen – ob positiv oder kritisch – sind ein wichtiger Teil des Austauschs und dürfen und sollen frei geäußert werden. Schließlich geht es dabei nicht nur um Geschmack, sondern oft auch darum, anderen Leser:innen Orientierung zu geben.

Warum mache ich für mich persönlich Unterschied? Und das heißt nicht, dass du das genauso sehen musst! Ganz einfach: Als Autorin stehe ich in einem anderen Verhältnis zu den Texten meiner Kolleg:innen. Bei Lesenden hingegen ist die Distanz größer, und ihre ehrliche Meinung, sei sie lobend oder kritisch, wird als Beitrag zur Diskussion wahrgenommen – und nicht als persönlicher Angriff. Oder gar eine Neiddebatte unterstellt.

Nein, ich gebe es gerne zu: Ich bin harmoniebedürftig. Mir liegt wenig an einem Shitstorm – auch wenn der gelegentlich eingesetzt wird, um mehr Aufmerksamkeit zu erzielen. Das bin aber nicht ich und möchte es auch nicht sein.

Für mich gilt daher eine einfache Regel: Wenn ich nichts Nettes oder Konstruktives zu sagen habe, schweige ich lieber. Das bedeutet nicht, dass ich Kritik meide, wo sie hilfreich ist. Es bedeutet, dass ich sie behutsam und nur dann äußere, wenn sie gefragt ist – im Lektorat ist für mich der passende Ort. Andernfalls ziehe ich es vor, meine Meinung für mich zu behalten. Denn ich weiß, wie verletzend unbedachte Worte sein können.

Eine Sache habe ich mir mittlerweile abgewöhnt: Ich kündige nicht mehr an, dass ich gerade das Buch einer mir bekannten Kollegin oder Kollegen lese. Warum? Weil ich glaube, dass dann auch eine Rezension erwartet wird – zumindest habe ich häufig das Gefühl, dass das unausgesprochen im Raum steht. Aber was, wenn das Buch einfach nicht meins war? Soll ich dann eine Gefälligkeitsrezension schreiben? Das finde ich extrem schwierig. Es fühlt sich unehrlich an und wird weder dem Buch noch mir gerecht.

Um diesen Konflikt zu vermeiden, behalte ich es lieber für mich. Nicht immer klappt das allerdings – gelegentlich verplappere ich mich doch, weil die Vorfreude auf das Buch einfach zu groß ist. Aber bisher hatte ich Glück und die Bücher haben mir gefallen. 😃

Die Realität der To-Be-Read-Liste

Hier komme ich zu einem Punkt, den vermutlich viele Lesende nachvollziehen können: Die berühmte „To-Be-Read“-Liste. Sie ist lang. Zu lang. Selbst bei den Büchern, die ich mir mit größter Vorfreude vorgenommen habe, komme ich oft nicht hinterher. Wie könnte ich da garantieren, die Bücher aller Autoren zu lesen, mit denen ich in irgendeiner Weise vernetzt bin? Auch wenn ich es wirklich möchte, mir der Klappentext gefällt und die Leseprobe überzeugt.

Manchmal habe ich schlicht nicht die Zeit, oft habe ich gerade keine Lust auf ein bestimmtes Genre. Aber sollte ich dann ein Buch lesen, nur weil ich mich dazu verpflichtet fühle? Ich glaube nicht. Denn Lesen ist für mich immer auch Genuss – und kein Pflichtprogramm.

Ein Punkt, der mir übrigens auch bei meinen Bloggerinnen wichtig ist. Ich möchte, dass sie sich nicht unter Druck gesetzt fühlen. Lesen soll Freude bereiten, Entspannung zum Alltag bieten. Wer viel, schnell und gerne liest und dadurch 30 Bücher im Monat schafft (Ich habe auf der Winterlesezauber-Buchmesse (hier mein Bericht) eine Bloggerin getroffen, die 50 Bücher im Monat liest! Das schaffen andere nicht in einem Jahr!), soll das gerne tun. Aber das kann und soll nicht vorausgesetzt werden.

Der Stapel der ungelesenen Bücher. Er wächst unaufhörlich und die E-Books sind nicht dabei.

Verständnis und Fairness

Manchmal habe ich das Gefühl, dass Menschen negative Bewertungen nutzen, um sich selbst besser darzustellen. Frei nach dem Motto: „Ich hätte das besser gemacht.“ Diese Haltung finde ich schwierig. Wenn jemand der Meinung ist, dass er oder sie es besser kann, dann nur zu! Oder die Person hatte einen schlechten Tag und müsste das irgendwo abladen.

Ich finde es wichtig, Respekt für die individuellen Grenzen und Entscheidungen anderer zu haben. Unterstützung bedeutet nicht, jeden Text befreundeter Autor:innen zu lesen oder bewerten zu müssen. Es gibt so viele andere Möglichkeiten, Wertschätzung zu zeigen: durch Teilen, Liken, Weiterempfehlen oder einfach ein freundliches Wort. Es tut mir von Herzen weh, dass ich es einfach nicht schaffe, die vielen wunderbaren Bücher zu lesen, die so großartige Menschen geschaffen haben. Und natürlich freue ich mich von Herzen, wenn eine Kollegin mein Buch liest und es ihr auch noch gefällt, würde es aber niemals voraussetzen.

Am Ende bleibt für mich die Überzeugung, dass Worte mächtig sind. Dass sie schnell die Selbstzweifel, die Schreibende immer mit sich rumtragen, nähren können. Ich möchte das nicht und schreibe deshalb auch weiterhin keine negativen Rezensionen, weil ich die Kreativität anderer respektiere – und weil ich weiß, dass meine Meinung nur eine Meinung von vielen ist.

Wenn ich ein Buch schätze, teile ich diese Begeisterung gerne. Und wenn nicht? Dann lege ich es still zur Seite. Denn am Ende zählt für mich, dass wir alle unsere Freude an Büchern behalten – egal ob als Leseende oder Schreibende.

Wie siehst du das?

Autorin Kassia L. Hill

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