E-Mail für mich – Kurzgeschichte

Das Kinn in die Hand gestützt, sitze ich an meinem Schreibtisch und starre auf den Bildschirm des Laptops. Die Zahlen vor mir sind ernüchternd. Habe ich wirklich etwas anderes erwartet? Rang 189.705. Die Zahl liegt schwer auf mir, zieht mich in die Bedeutungslosigkeit. Tränen verschleiern meinen Blick und ich schniefe laut. Hören tut mich ohnehin niemand. Das ist der Vorteil an der selbstgewählten Einsamkeit des Autorenlebens.

Mein neuester Roman, eine weihnachtliche Liebesgeschichte, in die ich mein ganzes Herzblut gesteckt habe, irgendwo in den Untiefen der Verkaufscharts. Monatelang habe ich auf ein kleines Weihnachtswunder gehofft. Darauf, dass dieser Roman mir zum Durchbruch verhilft. Aber nichts. Gar nichts.

Dabei hatte es so verheißungsvoll begonnen. Die Story hatte alles, die Rezensionen waren traumhaft, das Cover war beinahe preisverdächtig und trotzdem kaufen die Leserinnen nicht.

Warum?

Ich beiße mir auf die Lippe, versuche das Brennen in meiner Brust zu ignorieren.

Seit Monaten ist kein einziges Buch mehr über den virtuellen Ladentisch gegangen und auch die gelesenen Seiten in der E-Book-Ausleihe dümpelten im zweistelligen Bereich. Alle Marketingstrategien, die ich versucht hatte – von Instagram-Posts über Newsletter bis hin zu Rabattaktionen – liefen ins Leere. Jedes Mal, wenn ich mich wieder aufgerafft habe, kam der nächste Rückschlag. Und jetzt?

Ich reibe mir über die Lider, trockne die Tränen. Eine trotzige Geste, aber da ist nur noch Traurigkeit und Resignation. »Vorbei«, murmle ich und dieses Wort schneidet mir ins Herz. Blut sickert heraus, erstickt das laute Schluchzen, das sich aus meiner Kehle hervor quält. Der Gedanke, den Stift niederzulegen und meine Träume endgültig zu begraben, bohrt sich unter meine Haut.

Ich räuspere mich, kämpfe den Kloß nach unten. »Das war’s. Du hast es einfach nicht drauf. Sieh es ein.«

Mein Blick wandert zu dem kleinen Regal, in dem meine bisherigen Romane stehen. Immerhin habe ich es geschafft, vier Bücher zu schreiben. Auch wenn sie niemand lesen will. Das schafft nicht jede.

Ich seufze, spüre die Hitze und Feuchtigkeit auf meinen Wangen. »Das alles war ein Fehler. So viel Geld. Alles in den Sand gesetzt.«

Ich lege den Zeigefinger auf das Touchpad, öffne den Ordner, in dem sich meine Schreibprojekte befinden. Cupcakes …, Drei Pfoten …, Emma & Caden, der Weihnachtsroman … In mir zieht sich alles zusammen, als würden meine Organe in Säure baden. Ekelhaft süßer Speichel bildet sich im Mund und ich kämpfe gegen die Übelkeit an, die aufkommt. Gegen das Zittern, als ich die Ordner markiere.

Es ist ganz einfach. Du musst es nur tun.

Ich kneife die Lider fest aufeinander. Will es nicht sehen, wenn die Dateien verschwinden. Natürlich habe ich ein Backup und könnte sie zurückholen, aber irgendwo muss ich ja anfangen. Mein Herz schlägt derweil hart gegen die Rippen.

Ich kann nicht! Ich kann nicht!

Ich halte die Luft an. Es muss einfach sein. Ich muss einen Schlussstrich unter die Sache ziehen. Kassia gehört der Vergangenheit ein.

Ein leises „Ping“ ertönt und zischend stoße ich die Luft aus, reiße die Augen auf. Eine E-Mail. Bestimmt ein Newsletter. Im schlimmsten Fall eine Rechnung. Egal. Es ist eine willkommene Ablenkung. Ein kurzer Aufschub. Der Cursor rutscht wie von selbst auf den winzigen Briefumschlag am unteren Bildschirmrand.

Kassia L. Hill steht in fetten Buchstaben in der Absenderzeile.

Ich stutze. Von mir? Läuft da noch eine Automation, die ich nicht abgestellt habe? Ich kann mich nicht daran erinnern. Also lese ich die Betreffzeile.

„Bleib mutig und lass die Zweifel nicht zu!“

»Was?« Ich reibe mir über die Lippen. Wenn das ein Scherz ist, ist es ein verdammt blöder. Oder wurde mein Account gehacked? Das fehlte gerade noch! Neugierig öffne ich die E-Mail und beginne zu lesen.

Hallo Kassia,

ich weiß, wie du dich gerade fühlst. Verloren. Müde.

Ich nicke energisch.

Du willst das Schreiben an den Nagel hängen, weil nichts funktioniert. Deine Bücher verkaufen sich nicht, und es scheint, als würde niemand deine Geschichten lesen wollen. Es fühlt sich so an, als ob alles, woran du geglaubt hast, worauf du gehofft und hingearbeitet hast, sich in Luft auflöst.

Ich fühle mich wie in einer ganz schlechten Folge von „Verstehen Sie Spaß?“. Die Sendung fand ich immer extrem dämlich. Haben die das Format nicht schon längst eingestellt? Ich stoße mich von der Schreibtischkante ab und sehe mich um. Aber da ist niemand und da sind auch nirgends Kameras. Also rolle ich den Bürostuhl zurück und lese weiter.

Aber ich bin hier, um dir zu sagen: Gib nicht auf!

Ich weiß, das klingt jetzt unmöglich, doch hör mir zu – du wirst es schaffen. In fünf Jahren wirst du zehn weitere Romane veröffentlicht haben. Ja, zehn! Und du wirst deine Leidenschaft fürs Schreiben nicht nur wiederfinden, sondern sie wird heller brennen als je zuvor. Der Weihnachtsroman, an dem du gerade zweifelst? In ein paar Jahren wird er einer deiner Bestseller sein. Es braucht nur Zeit. Manchmal viel mehr Zeit, als wir uns wünschen. Aber das Warten lohnt sich.

Und ja, es wird auch Rückschläge geben. Dein Weg geht nicht steil hinauf in den Autorinnenhimmel. Aber das alles führt dazu, dass du am Ende dein Ziel erreichst. „Winterküsse und Leinwandträume“ ist nur der Anfang. Weihnachten in Winterlichten wird eine erfolgreiche Buchreihe, doch dafür braucht es den ersten Schritt.

»Woher willst du das wissen?« Auf der Suche nach einer Antwort lese ich weiter.

Du wirst deinen Weg finden, auch wenn es jetzt so aussieht, als würde alles den Bach runtergehen. Mit dem Schreiben wirst du etwas zum Familieneinkommen beitragen. Was du gerade im Marketing versuchst, wird sich bald auszahlen. Deine Leserinnen sind da draußen. Sie warten auf dich.

Sie warten auf mich. Die Worte klingen in mir nach, hallen wie ein Echo und wollen mich verhöhnen. Sie warten auf mich. Klar! Wo denn? Wo sind sie? Warum kaufen sie dann meine Bücher nicht? Das Ganze klingt so bescheuert, dass ich versucht bin, die Mail in den Papierkorb zu befördern. Heute ist großer Aufräumtag. Aber etwas zieht mich zurück zwischen die Zeilen. Woher weiß der Schreiber, wie ich mich gerade fühle?

Was mit der Black Forest Love Reihe ist? Sie wird abgeschlossen.

Mein Mund klappt auf. Abgeschlossen? Heißt das, es kommt doch noch ein dritter Band. Gebannt hänge ich an Zeilen, lese immer schneller.

Und weißt du was? Deine Leserinnen lieben das Ende. Aber das ist nicht alles: Du wirst weiterhin Lektorate anbieten. Es ist eine willkommene Abwechslung zu deinem eigenen Schreiben, und du wirst anderen Autorinnen helfen, ihre Träume zu verwirklichen. Du wirst auch einen Ratgeber veröffentlichen – ja, du! Für all die Schreibenden, die sich genauso verloren fühlen wie du jetzt.

Tränen rinnen über meine Wangen. Dieses Mal ist es aber keine Enttäuschung, sondern Erleichterung. Ich spüre, wie die Schwere abnimmt und ein winziger Hoffnungsschimmer aufglimmt, mich tröstlich wärmt. Könnte es wirklich sein?

»Wer bist du?«, flüstere ich.

Ich weiß, es fühlt sich gerade an, als würdest du in einem dunklen Tunnel sitzen, ohne Licht am Ende. Aber glaub mir, es ist da. Und es ist viel heller, als du es dir im Moment vorstellen kannst.

Vertraue mir. Vertraue dir selbst. Du hast es in dir, Kassia.

In Liebe,

Dein zukünftiges Ich

Ich starre auf die Worte, lese sie erneut, auch wenn es schwerfällt und ich immer wieder die Tränen wegwische, die die Buchstaben vor meinen Augen verschwimmen lassen. Ich bin nicht der Typ, der an Wunder glaubt – aber dieser Brief …

Vielleicht, nur vielleicht, ist es ein Zeichen, dass ich noch nicht aufgeben sollte. Noch nicht.

Ich wische die Tränen weg und richtete mich langsam auf. Der Gedanke, dass irgendwo, irgendwann, ein besseres Ende auf mich wartet, gibt mir neue Kraft.

Ich schlurfe in die Küche und stelle meine Tasse unter den Kaffeeautomaten. Die Maschine rattert und zischt und bald sitze ich wieder am Schreibtisch, genieße den ersten Schluck und lege die Finger auf die vertraute Tastatur.

Das ist nicht das Ende. Noch lange nicht.

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